Oktober 2025:
Hinschauen statt Wegschauen – Erfahrungen aus 5 Jahren Frauenhausarbeit
Ich erinnere mich an einen Abend.
Es war kurz vor 17 Uhr, ein kalter Wintertag. Das Telefon klingelte. Am anderen Ende war eine Frau, die sich in einer akuten Notsituation meldete. Sie war mit ihren beiden kleinen Kindern unterwegs – das war der einzige Moment, in dem sie ungestört telefonieren konnte. Nach einem kurzen Abklärungsgespräch sagten wir ihr einen Platz bei uns im Frauenhaus zu.
Wenig später stand sie vor der Tür. Die Kinder waren völlig durchgefroren – ohne Handschuhe, in Halbschuhen, ohne Mütze. Ihre Haare waren nass, ihre Gesichter blass vor Kälte. Diese Szene hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt.
Kinderperspektive: Häusliche Gewalt trifft immer auch Kinder
Häusliche Gewalt richtet sich nie nur gegen die Frau. Kinder sind immer mitbetroffen – direkt oder indirekt. Auch wenn sie „im Nebenzimmer“ sind, bekommen sie die Streitigkeiten, das Schreien oder Schläge mit. Oft intensiver, als die Mütter glauben.
Viele Kinder suchen die Schuld bei sich:
„Wenn ich nur brav bin …“
„Wenn ich schnell aufräume …“
„Wenn ich leise bin …“
Sie versuchen, alles richtig zu machen, um die Gewalt zu verhindern – und scheitern zwangsläufig, weil die Verantwortung nie bei ihnen liegt. Gewalt hinterlässt bei Kindern tiefe Spuren, selbst wenn sie selbst nicht geschlagen werden. Sie sind Zeug:innen, Mitbetroffene, manchmal auch Beschützer.
Beziehungen und Gewaltdynamik verstehen
In dieser Zeit habe ich gelernt, wie komplex Beziehungen sein können. Zwischen Zuneigung und Kontrolle, zwischen Angst und Hoffnung.
Gewaltbeziehungen entstehen selten plötzlich – sie wachsen aus Mustern, in denen Liebe, Schuld und Abhängigkeit ineinanderfließen.
Oft wechseln Phasen von Anspannung, Übergriffen und Entschuldigung einander ab. Dieses Auf und Ab hält viele Frauen in der Beziehung, weil Hoffnung und Angst gleichzeitig präsent sind.
Ich habe in dieser Arbeit gelernt, wie viel Mut es braucht, diese Dynamik zu durchbrechen – und dass Veränderung nur möglich ist, wenn Verantwortung dort benannt wird, wo sie hingehört.
Die Entscheidung zu gehen – zwischen Mut und Angst
In der Arbeit mit Frauen wurde immer wieder deutlich, was die Betroffenen einerseits erlebt, aber auch geleistet haben.
Mit der Entscheidung zu gehen, haben sie einen Teil ihres bisherigen Lebens zurückgelassen – vertraute Räume, Beziehungen, Erinnerungen.
Immer wieder war die Angst vor all dem Neuen so groß, dass eine Rückkehr zum Gefährder unausweichlich schien.
Angst, es alleine mit den Kindern nicht zu schaffen.
Angst vor finanzieller Unsicherheit, vor Einsamkeit, vor gesellschaftlicher Bewertung.
Und gleichzeitig oft eine tiefe emotionale Abhängigkeit, die sich über Jahre aufgebaut hatte.
Und mitten drin: die Kinder.
Kinder, die – genauso wie ihre Mütter – hin- und hergerissen sind.
Einerseits Angst vor der Gewalt haben, andererseits Angst, ihre Freunde, die Schule oder das gewohnte Umfeld zu verlieren.
Kinder, die hoffen, dass „es vielleicht doch wieder gut wird“ – und die doch längst wissen, dass vieles nicht mehr heilbar ist.
Gewaltspirale erkennen
Gewalt beginnt selten mit Schlägen. Oft fängt sie mit scheinbar harmlosen Fragen an:
„Wohin gehst du?“
„Mit wem triffst du dich?“
„Wann kommst du zurück?“
Sätze, die besorgt klingen – und doch erste Formen von Kontrolle sein können. Mit der Zeit verstärken sich Kontrolle und Druck. Aus Worten werden Einschränkungen, aus Einschränkungen Isolation, Drohungen, körperliche und sexualisierte Gewalt. In manchen Fällen endet diese Spirale tragisch – mit massiver Gewalt oder Tötungsdelikten.
Meine Sicht auf Menschen
Diese Jahre haben meine Haltung nachhaltig geprägt.
Ich habe gelernt, hinter das Verhalten zu schauen – zu sehen, was Angst, Scham und Überforderung mit Menschen machen können.
Und auch, welche Kraft darin liegt, Hilfe anzunehmen und sich auf Veränderung einzulassen.
Ich sehe heute Menschen nicht über ihre Geschichte, sondern in ihrer Fähigkeit, sich zu verändern.
Reflexion: Eine prägende Zeit
Die Jahre im Frauenhaus waren fachlich wie emotional intensiv. Immer wieder kam es zu Notaufnahmen, zu Situationen, die rasches, professionelles Handeln erforderten.
Eine ständige Herausforderung waren die räumlichen Kapazitäten: Oft waren alle Zimmer belegt, und wir als Team mussten kreative Lösungen finden. Teamsupervision und Fallsupervision waren in dieser Zeit unverzichtbar – um das Geschehene zu reflektieren, Belastendes zu teilen und handlungsfähig zu bleiben.
Ich habe in dieser Zeit selbst erlebt, wie Supervision wirken kann: Sie schafft Raum für Entlastung, neue Sichtweisen und Teamstärkung.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es immer wieder eine Herausforderung war, das Wissen auszuhalten – vor allem dann, wenn eine Frau in die alte Beziehung zurückkehrte und erneut Gewalt erlebte.
In solchen Momenten trifft das fachliche Wissen über Gewaltdynamik und Gewaltspirale auf die persönliche Beziehung zur Klientin.
Man weiß, was passieren kann – und doch bleibt die Hoffnung, dass es diesmal anders ausgeht.
Diese Spannung zwischen professioneller Einschätzung und emotionaler Verbundenheit gehört zu den schwierigsten Seiten dieser Arbeit.
Solche Erfahrungen haben mir gezeigt, wie wichtig Selbstfürsorge und Teamreflexion sind.
Supervision wurde für mich damals zu einem Ort, an dem Wissen, Emotion und Verantwortung zusammenfinden durften – ohne Bewertung, aber mit Klarheit.
Diese Erkenntnis prägt meine Arbeit bis heute.
Professionelle Haltung und Selbstreflexion
In der Arbeit mit Gewalt betroffenen Menschen braucht es mehr als Wissen.
Es braucht eine klare Haltung – und die Bereitschaft, sich selbst immer wieder zu hinterfragen.
Wo endet meine Verantwortung, wo beginnt die Selbstbestimmung der Klientin?
Wie halte ich Ohnmacht aus, ohne sie mit Aktivismus oder Rückzug zu überspielen?
Diese Fragen begleiten mich bis heute.
Ich bin überzeugt, dass professionelle Beziehung nur dann tragfähig bleibt, wenn sie von Respekt, Achtsamkeit und innerer Klarheit getragen wird.
Supervision hilft, diese Haltung zu pflegen – und den eigenen Handlungsspielraum bewusst zu gestalten.
Zivilcourage zeigen – aber mit Bedacht
Wenn du in deiner Nachbarschaft einen lauten Streit oder Hilferufe hörst, schau nicht weg. Manchmal reicht eine einfache, unauffällige Intervention, um eine Situation zu unterbrechen.
Zum Beispiel: Geh hin, klopfe an und bitte „um ein Ei“.
So zeigst du Präsenz, ohne zu eskalieren – und eröffnest der betroffenen Frau eine Möglichkeit, um Hilfe zu bitten.
Wichtig ist dabei: Achte auf deine eigene Sicherheit. Wenn du unsicher bist, zögere nicht, die Polizei zu verständigen. Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig.
Kennst du das Handzeichen für häusliche Gewalt?
Das „Signal for Help“ ermöglicht Betroffenen, still auf ihre Notlage aufmerksam zu machen:
-
Offene Hand nach vorne zeigen (wie beim Winken).
-
Den Daumen in die Handfläche legen.
-
Die Finger über den Daumen klappen.
Dieses Zeichen wurde weltweit verbreitet und kann in alltäglichen Situationen Leben retten.
Einladung zum Gespräch
Du arbeitest mit Menschen, die von Gewalt betroffen sind, und möchtest dein Handeln professionell reflektieren?
Supervision kann helfen, belastende Situationen zu verarbeiten, neue Perspektiven zu gewinnen und Teams zu stärken.
Hinschauen. Zuhören. Handeln.
Wenn du über dieses Thema ins Gespräch kommen oder deine Arbeit professionell reflektieren möchtest, begleite ich dich gerne in einem vertraulichen Rahmen.
Herzliche Grüße
Anja Natter-Feuerstein
August 2025:
Meine ersten Schritte in der Sozialarbeit - Erfahrungen, die mich geprägt haben
Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte. Schon früh in meiner Arbeit habe ich gelernt, wie wichtig es ist, genau dafür Raum zu geben.
Heute möchte ich dir einen ersten Einblick in meine berufliche Vergangenheit geben. Ich durfte in verschiedenen Bereichen der Sozialarbeit tätig sein und habe dadurch einen vielfältigen Erfahrungsschatz gesammelt. Diese Erfahrungen haben mich geprägt und zu der gemacht, die ich heute bin.
Die ersten Schritte
Meine ersten Jahre als Sozialarbeiterin verbrachte ich in einer Suchtfachstelle. Mit gerade 23 Jahren durfte ich dort meine ersten Beratungen übernehmen. Ich weiß noch gut, wie aufgeregt ich war - und wie groß die Verantwortung sich anfühlte.
Zum Glück hatte ich eine erfahrene Kollegin am meiner Seite. Durch ihr ehrliches Feedback und gemeinsame Supervisionen konnte ich viel lernen und Schritt für Schritt sicherer werden.
Menschen und ihr Geschichten
In dieser Zeit begegnete ich vielen unterschiedlichen Menschen - jede und jeder mit der eigenen Geschichte, eigenen Hoffnungen und Herausforderungen. Mir wurde bewusst, wie wichtig es ist, den Blick systemisch zu weiten und das gesamte Umfeld miteinzubeziehen. Diese Haltung prägt meine Arbeit bis heute.
Sucht ist eine Erkrankung mit vielen Ursachen. Jeder Mensch braucht etwas anderes, um einen Schritt weitergehen zu können. Genau das herauszufinden, habe ich als meine Aufgabe gesehen - und es war immer wieder schön zu erleben, wie kleine Impulse große Veränderungen anstoßen können.
Was mich heute begleitet
Aus dieser Zeit habe ich drei Dinge mitgenommen, die heute noch Grundlage meiner Arbeit sind.
1. Zuhören und wahrnehmen, was ein Mensch wirklich braucht.
2. Den Blick fürs Ganze behalten, nicht nur für Offensichtliches.
3. Begleiten statt vorgeben, denn jeder Mensch hat sein eigenes Tempo und seinen eigenen Weg.
Einladung an dich
Vielleicht erkennst du dich in manchen Zeilen wieder. Vielleicht stehst du gerade selbst an einem Punkt, an dem du dir Begleitung wünschst.
Wenn ja, dann bin ich gerne für dich da. Gemeinsam können wir hinschauen, ordnen und neue Schritte entwickeln.
Melde dich gerne bei mir - ich freue mich auf dich!
Herzliche Grüße
Anja Natter-Feuerstein
Juli 2025:
Wenn der Akku leer ist – mein Weg zurück zu neuer Energie
Kennst du dieses Gefühl?
Ich kann nicht mehr. Meine Kraft reicht nicht mehr. Ich habe keine Energie mehr. Alles ist mir zu viel.
Vielleicht hast auch du das schon erlebt.
Plötzlich war mein Akku leer
Vor etwa drei Jahren passierte es mir. Von heute auf morgen ging gar nichts mehr – mein Akku war auf null.
Ich dachte, ein paar Tage Ausruhen würden reichen. Doch ich musste lernen, dass es viel mehr brauchte: Geduld, Selbstfürsorge und den Mut, genauer hinzuschauen.
Energiequellen finden – Energiefresser erkennen
Ich begann, bewusst mit meiner Energie zu haushalten:
-
Welche Dinge geben mir Kraft?
-
Was entzieht mir Energie?
-
Will ich die Energiefresser so in meinem Leben lassen oder ändere ich etwas?
Diese Fragen waren nicht leicht zu beantworten. Aber sie halfen mir, Klarheit zu gewinnen.
Was mir damals half
Besonders wertvoll war für mich, eine Person an meiner Seite zu haben, die mir die richtigen Fragen stellte, ein offenes Ohr hatte und sich Zeit für mich nahm.
So konnte ich Schritt für Schritt wieder Kraft tanken und zu neuer Stärke finden.
Heute – drei Jahre später
Heute geht es mir sehr gut.
Ich kenne mich besser als zuvor, weiß, wie wichtig mein Energiehaushalt ist und achte darauf, meine Kraft bewusst einzusetzen.
3 Fragen für dich
Vielleicht helfen dir diese Fragen, wenn du gerade an deine Grenzen kommst:
-
Was gibt mir im Moment Energie – und wie kann ich mehr davon in meinen Alltag holen?
-
Was raubt mir Kraft – und kann ich diese Dinge reduzieren oder anders gestalten?
-
Wer könnte mich auf meinem Weg begleiten?
Meine Einladung an dich
Falls auch du in einer solchen Situation steckst, nicht weiterweißt, zu viel zu tun hast oder nie Nein sagen kannst – melde dich gerne bei mir.
In einem persönlichen Gespräch schauen wir gemeinsam, wie du wieder zu Kräften kommst.
Ich begleite dich gerne in diesem Prozess!
Wenn du willst, kannst du auch gerne deine Erfahrung mit uns teilen!
Kommentar hinzufügen
Kommentare